Aschaffenburger Verkehrswende eingeleitet? Von wegen!
Ein Kommentar aus der 361° Redaktion zu den aktuellen Beschlüssen des Aschaffenburger Planungssenats.
Schon lange gibt es Gruppen, die sich mit dem Thema Verkehrswende auseinandersetzen und deshalb beispielsweise einen kostenfreien ÖPNV* für Alle als soziale und ökologische Maßnahmen fordern.
Doch diese Pioniere (bspw. ZAK Tübingen) und ihre Themen fristeten lange Zeit ein Nischendasein. Zu stark war das gesellschaftliche Desinteresse, aber auch das linker Bewegungen. Und so blieb es ein Thema weniger „Spezialist*innen“, die hier beständig und ausdauernd am Ball blieben.
Mit dem Aufkommen von Fridays for Future hat sich dies nun entschieden geändert und das Thema ökologische Verkehrswende hat eine deutliche Präsenz im öffentlichen Diskurs erfahren. Hinter Forderungen nach einem massiven Ausbau des ÖNPV stehen heute gesellschaftliche Mehrheiten. Und auch die Forderung nach einem kostenfreiem ÖPNV hat ihr Nischendasein verlassen und wird ernsthaft als soziale Zusatzkomponente zur ökologisch notwendigen Verkehrsumgestaltung diskutiert.
Man könnte meinen, der Rückenwind für eine sozialökologische Umgestaltung sei gesellschaftlich so stark, dass sich auch KommunalpolitikerInnen dem nicht entziehen könnten. Und wenn schon nicht aus der Einsicht zur Notwendigkeit dieser Entwicklung, die auch von Wissenschaftlern immer wieder untermauert wird, so doch wenigstens aus Opportunismus im laufenden Kommunalwahlkampf.
Denn das Opportunismus nach wie vor eine entscheidende Rolle im politischen Geschäft spielt, zeigen die aktuellen Beschlüsse des Aschaffenburger Verkehrssenats. Nur bleibt fraglich, an welche Mehrheiten man sich hier anzubiedern versucht.
Am 04.02. schrieb das Main Echo online, dass die Verkehrswende in Aschaffenburg eingeleitet wurde. Hintergrund sind einige aktuelle Beschlüsse des Planungssenats, die folgendes vorsehen:
– Tempo 30 innerhalb der Ringstraße
– jeweils eine Busspur (Radverkehr jeweils frei) und eine Individual-Fahrspur in der Friedrich- und Weißenburger Straße
– das „erarbeiten städtebaulicher Überlegungen“ zur Verbesserung der Aufenthaltsqualität in der Luitpoltstraße, sowie den Bereichen um den Herstalltturm und Freihofsplatz
Mit diesen Maßnahmen sei der Einstieg in die Verkehrswende eingeleitet und weitere Schritte könnten folgen, so Mitglieder von CSU und SPD.
Unter Anbetracht der derzeitigen Entwicklungen und des drohenden Klimakollaps ist dieser Beschluss vor allem eines: eine Farce! Verkehrswende eingeleitet? Von wegen! Verkehrswende ausgebremst passt da schon eher.
Es war in der Hauptsache wieder einmal die Aschaffenburger GroKo aus CSU-SPD (natürlich samt OB-Herzog) die hier Fakten schuf. Und wieder einmal musste „der Bürger“ als Argument herhalten, dass weitergehende Schritte derzeit nicht zu machen seien, da die gesellschaftliche Akzeptanz dafür fehle.
Woher diese Annahme rührt, entzieht sich unserer Kenntnis. Vielleicht ergaben dies die Daten aus dem Bürgerdialog, für den eigens die Internetplattform www.verkehrsentwicklung-ab.de eingerichtet wurde?
Es braucht aber nicht viel, um genau das in Frage zu stellen. Denn es wäre nicht das erste Mal, dass die Stadtverwaltung mit einem Bürgerdialog glänzt, der aber in Konsequenz keinerlei Einfluss auf städtische Entwicklungen zu haben scheint. Wir fragen uns bis heute, welchen Einfluss eigentlich die große Bürgerbeteiligung zur Mainufergestaltung, für deren Ausgestaltung es ein üppiges Budget gab, letzten Endes hatte.
Wenn beim aktuellen Fall die Homepage zum Bürgerdialog titelt: „Mehr Lebensqualität durch weniger Verkehr“, der Verkehrssenat dann aber keinerlei Beschlüsse trifft, die den Verkehr tatsächlich reduzieren, fühlt man sich in Sachen „Mitsprache“ vor allem eines: verarscht.
Es ist nicht so, dass es keine Konzepte geben würde, die zu einer Reduzierung des Verkehrs beitragen und somit einen mehr als wichtigen Beitrag zur Eindämmung des Klimawandels leisten würden, auf der Bürgerdialog-Homepage werden diese sogar vorgestellt. Das progressivste Konzept der s.g. „Variante 3“ wurde selbst von externen Gutachtern als am effektivsten eingeschätzt. Doch dahinter blieb man weit zurück. Die Entscheider verstecken sich dabei offensichtlich hinter einem vermeintlichen Bürgerwillen. Doch eigentlich wurde nur das umgesetzt, was die Mehrheiten im Stadtrat schon lange vor Start des „Bürgerdialogs“ angedacht hatten. Nämlich die „Variante 1“ bzw. „Variante 1 plus“, die im Stadtrat von CSU, SPD, UBV und FDP mitgetragen wird.
Die jetzt beschlossenen Maßnahmen, die vorerst in einer Probezeit getestet werden sollen, berücksichtigen in keiner Weise die Dringlichkeit und Notwendigkeiten mit der die Stadtverwaltung Maßnahmen zur Eindämmung des Klimawandels treffen müsste.
Was es jetzt dringend bräuchte, wäre gesellschaftlicher Druck und Protest auf die Stadtverwaltung. Gespeist aus der Empörung und Wut über die beschlossenen Maßnahmen, sowie aus der Vorgaukelei, dass man als Bürger*innen durch den „Bürgerdialog“ auch nur einen Hauch von Einfluss hätte.
Dafür sollten sich alle zusammenfinden, die sich für eine Verkehrswende einsetzen, die diesen Namen auch verdient hat. Und dass es gar nicht so wenige sind, die deutlich mehr wollen als das, was jetzt vom Senat beschlossen wurde, haben die verschiedenen Klimaproteste und Veranstaltungen im Jahr 2019 deutlich aufgezeigt.
Die Beruhigungspille der maßgeblichen Entscheider im Planungssenat, die darauf verweisen, die Maßnahmen seien nur erste Schritte, die natürlich irgendwann durch weitere ergänzt werden könnten, sollte man nicht schlucken. Sondern weiter darauf beharren, dass nicht nur effektive, sondern vor allem auch schnelle Maßnahmen zur Eindämmung des Klimawandels nötig sind.
* Im Herbst 2020 erscheint im VSA-Verlag ein Buch zum Thema „Nulltarif“