Interview: Aufpassen, vom politischen System nicht abgeschliffen zu werden
Bei den Kommunalwahlen am 15. März 2020 konnte die WählerInnenliste „Kommunale Initiative (KI*)“ wieder zwei Sitze im Aschaffenburger Stadtrat erlangen. Vergangenen Montag fand die konstituierende Sitzung des neuen Stadtrates statt. Aus diesem Anlass haben wir KI-Mitglied Jürgen Zahn ein paar Fragen gestellt.
361°: Hallo Jürgen, die KI konnte bei der vergangenen Wahl ihre zwei Sitze im Stadtrat halten. Neben Johannes Büttner wurdest du für die KI ins Amt gewählt. An dieser Stelle noch einmal unsere Glückwünsche! Bist du mit dem Wahlergebnis insgesamt zufrieden?
Jürgen Zahn (JZ): Vorab herzlichen Dank an alle Menschen, die mich gewählt haben. Sie haben mir einen Vertrauensvorschuss gegeben und ich werde mit Herzblut an diesem Auftrag arbeiten.
Zum Wahlergebnis. Ja, ich bin zufrieden, weil wir zwei Sitze halten konnten. Nein, weil ich angesichts der Klima- und Coronakrise mehr Stimmen und damit auch mindestens einen Sitz mehr für die KI erwartet habe. Was muss noch alles passieren, damit auch in den Wahlkabinen ein Umdenken stattfindet?
361°: Bisher hast du Stadtratssitzungen eher „von außen“ erlebt, ab jetzt bist du mittendrin. Denkst du, das verändert auf kurz oder lang so manche Sicht auf politische Themen?
JZ: Ja sicherlich. Und ich muss aufpassen, dass ich vom politischen System nicht abgeschliffen werde. Sollte das passieren hoffe ich, dass meine Aufpasser z. B. die KI oder die IL (zwinker) mich freundlich und bestimmt wieder in die Spur bringen.
361°: Neben deinem neuen Ehrenamt als Stadtrat bist du auch außerparlamentarisch aktiv. Zum Beispiel im noch recht neuen Aschaffenburger Klimabündnis. In welchem Zusammenhang oder Wechselverhältnis siehst du dieses Engagement?
JZ: Ein solches Engagement mit Nähe zu den Menschen unserer Stadt z. B. im Klimabündnis ist mir wichtig. Hier erhalte ich Informationen und bekomme Stimmungen mit, die direkt von der Basis kommen. Und ich kann ggf. bei Sachfragen als Stadtrat zuarbeiten z. B. Informationen von der Verwaltung einholen und rückkoppeln. Ich hoffe, dass in Zukunft dafür auch ausreichend Zeit bleibt. Schon jetzt prasseln die Termine der Stadt auf mich ein.
361°: Denkst du, dass es hier zu Interessenskonflikten kommen kann? Also im Spannungsverhältnis zwischen „pragmatischer Realpolitik“ im Stadtrat und den eigentlich notwendigen Maximalforderungen sozialer Bewegungen?
JZ: Ja, das kann passieren. Aber darüber werde ich dann offen mit den Menschen reden und mich ggf. bei bestimmten Themen zurückhalten oder beraten. Aber es ist wichtig als Brückenkopf innerparlamentarisch als Stadtrat zu arbeiten und gleichzeitig die außerparlamentarische Arbeit zu unterstützen.
361°: „KLARE KANTE GEGEN RECHTS“ stand auf einem der KI-Wahlplakate. Du hast deinen ersten öffentlichen Stadtrats-Auftritt auch gleich genutzt, um ein Statement gegen die AfD zu verlesen, welche jetzt ebenfalls mit zwei VertreterInnen im Stadtrat sitzt. Der Umgang mit der rechten Partei stellt viele Kommunalpolitiker*innen vor völlig neue Herausforderungen. Die Rosa-Luxemburg-Stiftung hat ein ganzes Buch zum Thema herausgebracht. Was denkst du, wie ist im Stadtrat angemessen mit dem Thema umzugehen?
JZ: In meiner Rede habe ich klar gegen Rechts Stellung bezogen und ich habe die Vertreter der AfD aufgefordert, sich eindeutig vom völkisch-nationalistischen Flügel öffentlich zu distanzieren. Es bleibt abzuwarten, wie die beiden Herrschaften darauf reagieren und wie sie sich im Stadtrat verhalten. Wichtig ist, in der Stadtratsarbeit sehr wachsam zu sein und mutig gegenzuhalten.
361°: Gab es Reaktionen auf deine Rede?
JZ: Ja, noch während der Sitzung. Zustimmung von der ÖDP, den GRÜNEN und einem CSU-Stadtrat. Leider keine Reaktion von der SPD und FDP. Auch in Emails wurde die klare Stellungnahme begrüßt.
361°: Was sind weitere Themen, welche von der KI in nächster Zeit von Bedeutung sind?
JZ: Für mich ist das wichtigste Thema die Klimakrise. Die Erde fiebert schon lange, nun kam die globale Corona-Pandemie dazu! Nur die Klimakrise kann man nicht wegimpfen. Die Corona-Krise darf keine Ausrede sein, die Klimawende umgehend einzuleiten. Aber auch die sozialen und wirtschaftliche Verwerfungen durch Corona werden immens sein, auch in Aschaffenburg.
Das Ergebnis der Stadtratswahlen eröffnet die Möglichkeit einer umfassenden politischen Neuorientierung. Ziel muss sein, die faktische „große Koalition“ aus CSU und SPD zu beenden, die seit vielen Jahren die Stadtpolitik bestimmt und in wichtigen Bereichen behindert bzw. lähmt. Wir brauchen eine Weichenstellung hin zu einer konsequent ökologischen und sozialen Politik für Aschaffenburg. SPD, Grüne, ÖDP und KI verfügen über die dafür notwendige Mehrheit. Leider hat sich schon bei der Bürgermeisterwahl gezeigt, dass SPD und CSU weitermachen wie bisher.
Die Klima-Katastrophe und die Corona-Pandemie unterstreichen dramatisch die Notwendigkeit eines Umsteuerns. Wann, wenn nicht jetzt, ist die Zeit dafür gekommen? Es bleibt abzuwarten, wie sich die Zusammenarbeit mit der SPD in Sachfragen gestaltet. Mit Eric Leiderer, SPD Bürgermeister, werden wir umgehend Kontakt aufnehmen. Eine sach- und zielbezogene sozial-ökologische Zusammenarbeit mit ÖDP und GRÜNEN versteht sich von selbst.
361°: Wir danken dir für die Beantwortung der Fragen und wünschen viel Ausdauer und Erfolg bei deiner weiteren politischen Arbeit!
Rede von Jürgen Zahn (KI*), anlässlich der konstituierenden Stadtratsversammlung am 04.05.2020
Als Demokrat habe ich das Ergebnis von Wahlen zu respektieren. Ohne Wenn und Aber! “.
Dem neuen Stadtrat werden nun Vertreter einer Partei angehören, die – zumindest in Teilen – dem rechtextremen Spektrum zugehörig sind und in dem Faschisten wie Björn Höcke aus Thüringen – der „Führer“ des so genannten Flügels – immer mehr Einfluss gewinnen.
Springerstiefel und Glatze werden heute ersetzt durch Schlips und Anzug. Na ja, wie sich Biedermänner halt so geben. Doch lassen wir uns nicht täuschen! Die Verbindungen der AFD zur gewaltbereiten und gewalttätigen Neuen Rechten sind hinlänglich bekannt. Und die wiederum hat einiges auf dem Kerbholz:
Die NSU Mordserie: 9 Menschen sterben
Kassel Juni 2019: Der Politiker Walter Lübcke wird ermordet
Halle Okt 2019: Die jüdische Synagoge wird die angegriffen. Versuchter Massenmord! 2 Menschen sterben.
Hanau Feb 2020: Zehn Menschen sterben.
In Stadt und Land greift ein Klima der Angst um sich. Die Auschwitz Überlebende Esther Bejarano hat es auf den Punkt gebracht: „Der Satz: wehret den Anfängen ist längst überholt. Wir sind mittendrin“.
In Versammlungen dieser Partei wird gejohlt, wenn Nazi-Verbrechen als „Fliegenschiss“ verharmlost, Juden verhöhnt, Muslime verachtet, Türken als Kameltreiber beschimpft und Gemeinheiten über Flüchtlinge gesagt werden. Menschen, die rechtmäßig als Faschisten bezeichnet werden dürfen, sitzen heute in unseren Parlamenten und bewegen sich ungehindert unter uns! Und die Partei, die mit solchen Elementen überhaupt kein Problem hat, sich tlw. sogar schützend vor sie stellt, stellt auch seit heute in diesem Hause zwei Stadträte.
Frau Storm und Herr Keller werden vielleicht einwenden, dass sie Äußerungen wie die eben zitierten nicht getan hätten.
Das mag sein. Aber sie haben sich ein Etikett angesteckt und darauf steht: AfD
Sie sind aktive Mitglieder dieser Partei, die sie für die Wahlen zum Stadtrat nominiert hat!
Und so lange sie sich NICHT ohne Wenn und Aber davon distanzieren, sind sie im Obligo! Sie können nicht sagen: Ich bin zwar in diesem völkisch-nationalistischen Verein aktiv, aber mitverantwortlich für seine menschenverachtende Hetze bin ich nicht!
Damit dürfen Sie nicht durchkommen!
Der Schweizer Schriftsteller Max Frisch hat ein Stück mit dem Titel „Biedermann und die Bandstifter“ geschrieben. Es handelt von einem braven Bürger namens Biedermann, der arglos zwei Brandstifter in sein Haus aufnimmt. Seltsam, ich muss da an Frau Storm & Herrn Keller denken ….
Und sollten die beiden versuchen mit rechten Propagandasprüchen dieses Haus in Brand zu setzen:
Es wird nicht Ihnen gelingen!