Sonntäglicher Unfug in Miltenberg

Wir freuen uns an dieser Stelle über einen Gastbeitrag, der unseren Blick auf Aschaffenburg (siehe Artikel Corona-Demos: Too big to ignore?) ergänzt. Vielen Dank an Jan aus Miltenberg für die Zusendung seiner Eindrücke und Einschätzungen!

 


Sonntäglicher Unfug in Miltenberg

Miltenberg darf als die Hochburg am bayerischen Untermain für die sogenannten Corona-Rebellinnen (1) gelten, ein Begriff, unter dem eine Gemengelage teils unterschiedlicher ideologischer Richtungen summiert wird: Impfgegnerinnen, Verschwörungsideologinnen, Knallrechte, Esoterikerinnen, Neo-Hippies, dem Verfolgungswahn verfallene Menschen, Wichtigtuerinnen und zumindest am Anfang vielleicht auch noch Menschen, die Angst um die Grundrechte haben.

So finden allsonntäglich seit Mai Kundgebungen statt, die an unterschiedlichen Orten im Stadtgebiet durchgeführt werden. Zwar sind die Zahlen, die in den Medien veröffentlicht werden, immer großzügig nach oben gerundet, trotzdem darf von meist einer dreistelligen Zahl an Beteiligten ausgegangen werden. Unterschiedliche Anmelder der Kundgebungen bringen unterschiedliche Konzepte – von der reinen Redner-Veranstaltung bis hin zum Mini-Konzert.

Wenn auch vieles erwartbar ist an dieser Sache, so erstaunt doch der Umgang der Medien damit. Haben alternative oder gar linke Kundgebungen sehr oft das Problem, dass ihre Teilnehmendenzahl durch die Medien großzügig nach unten korrigiert oder die meist im geringstmöglichen Bereich angesiedelten Schätzungen der Polizei übernommen werden, so wird diesmal durchgehend großzügig nach oben gerundet. Zudem wird auch noch nach Wochen und Monaten jede Aktivität ausführlich angekündigt und fast immer darüber berichtet. Vermutlich macht sich hier der Pegida-Effekt bemerkbar: Keinesfalls wollen die Medien sich dem Vorwurf aussetzen, sie hätten die Corona-Rebellinnen irgendwie benachteiligt oder auch nur zu gering gewürdigt. Diese Reaktion ist verständlich, kennt man die Aggressivität, die von Pegida- oder auch von coronaleugnenden Kundgebungen ausgeht.

Die Reden sind oft emotional hochfahrend, stark affektiv aufgeladen. (2) Offensichtlich versuchen die Rednerinnen aber inzwischen, ein Mindestmaß an Seriosität darzustellen. Die Forderungen der Teilnehmenden allerdings haben es teils in sich: „Gott mit uns“ zeigt einer, verziert mit einem Eisernen Kreuz, auf seinem T-Shirt, auf die schier unendlich dumme Verschwörungsideologie von QAnon wird positiv Bezug genommen, Donald Trump gelobt. Eine junge Frau trägt einen gelben Stern mit der Aufschrift „Impfgegnerin“ und zeigt damit den eigenen Mangel an Empathie für die ermordeten Jüdinnen und Juden ebenso wie das Versagen des deutschen Schulsystems im Geschichtsunterricht. Diese Verharmlosung des NS-Terrors wird hingenommen wie jede andere rechte Aussage oder grobe Dummheit.

Die coronaleugnende Bewegung wird inzwischen so ernst genommen, dass Landrat Jens Marco Scherf (einziger grüner Landrat in Bayern) es sich nicht nehmen ließ, selbst bei einer dieser Kundgebungen aufzutauchen und dort ein Statement für die staatliche Politik abzugeben. Es mag dies ein rührender Versuch sein, der Vernunft eine Bresche zu schlagen. Viel genutzt hat es nicht, die Kundgebungen gingen einfach weiter. Landrat Scherf hätte wissen müssen, dass Argumente und Fakten nicht das sind, was dort auf fruchtbaren Boden fällt. Vielleicht hat er aber auch nur nicht kneifen wollen vor dieser Bewegung.

Ein in Miltenberg recht bekannter Bürger, der vor allem unter seinem Pseudonym Ras Gabriel auftritt (2), kann als Initiator der wöchentlichen Kundgebungen gelten. Inzwischen ist er offensichtlich nur noch alle 14 Tage Anmelder, wechselt sich mit einer Bürgerin ab, die an den anderen Sonntagen als Verantwortliche zeichnet. Bei seiner wohl als Mini-Woodstock gedachten Veranstaltung am 27. Mai offenbarte sich eine Neo-Hippiekultur, die ein Zuschauer so kommentierte:

Hegel bemerkt irgendwo, dass alle großen weltgeschichtlichen Tatsachen und Personen sich sozusagen zweimal ereignen. Er hat vergessen hinzuzufügen: das eine Mal als Tragödie, das andere Mal als Farce.“ Dieses Zitat wird Marx zugeschrieben. Gestern habe ich noch etwas anderes erlebt: die Wiederholung als Tragödie UND als Farce gleichzeitig! Ich war beim Happening von Ras Gabriel, nur wenige Leute da, aber viel Technik, Minibühne, Wandbehänge (die der durchschnittliche Europäer wohl für indisch hält), Segnung der Äpfel, Anrede als „Bruder“, gewolltes Understatement („Ich kann nicht gut Gitarre spielen.“ Na, da soll er halt üben!), es war Hippiezeit. Die Hippies waren ja mal ganz nett, aber wirkungslos. Ein Drittel von ihnen hat Karriere gemacht, z.B. im Musikbusiness, ein Drittel hat Häusle gebaut, ein Drittel ist auf der Nadel krepiert. Und nun sind sie wieder da. An der Essotankstelle in Miltenberg. Es hat was Tragisches, das Scheitern von einst so bescheuert wieder erleben zu dürfen. Und es ist eine Farce, eine Lachnummer, eine Posse, dieses Imitat zu erleben … Nicht ernst zu nehmen. Ich hatte mich räumlich so weit weg gehalten, dass ich nicht mehr dazu zählen konnte. Und ich ging alsbald. Tragödien und Possen zählen nicht zu dem, was ich sonderlich schätze. Übrigens war das gesprochene Gebet so banal, dass es nicht einmal in dem schlechtesten katholischen Gottesdienst durchgehen würde. Dann erzählte auch noch einer, dass er sein „Tipi“ (ich höre die nordamerikanischen Einwohner schon grölen vor Sarkasmus über diese Anmaßung) auf dem Caritasgelände aufstellen durfte (in München), jetzt aber die unverschämte Caritas ihm nicht alle Corona-Regeln übertreten lässt, die er gerne übertreten möchte. Ach, es war mal wieder eine Reise nach Absurdistan.

Oftmals ist das schon bekannte „Wir sind nicht rechts, wir sind nicht links, wir sind Menschen“ zu hören. Standpunktlosigkeit wird als positiv verkauft, ein Taschenspielertrick. Denn wer für alles offen ist, der ist halt nicht ganz dicht, wie schon ein viel zitiertes Bonmot weiß. Und so tummeln sich ganz offensichtlich auch Personen mit zutiefst menschenfeindlichen Ideen unter den Teilnehmenden. Wenn dann von der Bühne „Friede“ und „Liebe“ für alle Menschen verkündet wird, Knallrechte aber einschließlich ihrer Parolen geduldet werden, dann entlarvt sich das ganze Frieden-und-Liebe-Gefasel als Farce.

Ganz zu Anfang der Corona-Rebellen-Aktivitäten in Miltenberg kam einer der wenigen ortsansässigen Linken auf die Idee, es müsse doch etwas dagegen getan werden. Er fand keinerlei Unterstützung bei den angefragten Personen. Dies mag damit zusammenhängen, dass es in der kleinen Kreisstadt kaum noch bewegungsinteressierte Menschen gibt; es könnte aber auch damit zu tun haben, dass sich auch in Miltenberg herumgesprochen hat, dass nicht auf jeden Zug aufgesprungen werden muss. Denn gebracht hätte es nichts. Verschwörungstheoretikerinnen bauen alles, wirklich alles bestätigend in ihr Weltbild ein, sie sind gegenüber Argumenten völlig resistent. Und die Öffentlichkeit hätte einen wie auch immer gearteten Protest gegen den Coronaleugnerinnen-Unfug wohl gar nicht bemerkt.

(1) Es wurde bewusst die weibliche Form gewählt, da diese die männliche beinhaltet; ausdrücklich soll sich niemand bei dieser Regelung ausgegrenzt fühlen.
(2) Ein Beispiel möge die erste der Reden geben, gehalten von Ras Gabriel, die sich hier findet: https://www.youtube.com/watch?v=xKxe0tTbH1o

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