Ein Streik um Anerkennung
Auf Solidaritätsbesuch bei den streikenden Busfahrern in Aschaffenburg am 26.10.20
Es ist nasskalt am Montag Morgen und kurz vor 10 Uhr stehen am Streikposten nur knapp zehn Busfahrer. Auf Grund des anhaltenden Regens haben sich diese unter dem eigens aufgebauten Pavillons platziert.
Auf Nachfrage erfahren wir, dass auf Grund der Corona-Entwicklungen und der aktuell geltenden „Warnstufe rot“ die Beschäftigten nach Eintragung in die Streikliste dazu angehalten werden den Streikposten zu verlassen, um größere Menschenansammlungen zu vermeiden. Der erste Eindruck einer niedrigen Streikbeteiligung täuscht also.
Wie gut die Belegschaft organisiert und wie groß die Beteiligung an den Streikmaßnahmen ist, wird klar, als wir erfahren, dass am morgen nur 7 Busse unterwegs sind. Die anderen Fahrer befinden sich im zweitägigen Ausstand. Am Dienstag war aus dem Main Echo zu erfahren, dass laut Stadtwerken 9 Busse während des Schulverkehrs auf den Straßen waren.
Die Bereitschaft auch weiterhin die Arbeit zu verweigern ist unter den Streikenden groß und in Gesprächen zeigen sich die Fahrer zuversichtlich, dass ihre Aktionen Wirkung zeigen werden. Und die Wut über das Vorgehen der Arbeitgeber wächst.
Die Tatsache, dass den Forderungen der Streikenden noch nicht nachgekommen wurde, ist das Eine. Dass die Fahrer*innen faktisch für die Streiktage vom Werkgelände ausgeschlossen wurden, das Andere.
Denn Gewerkschaftsvertreter von Verdi bekamen kurzfristig schriftlich mitgeteilt, dass die Stadtwerke jegliche Haftung für den Aufenthalt der Streikenden auf dem Betriebsgelände, auf dem bisher der Streikposten stand, ablehnt. Es wurde unmissverständlich klar gemacht, dass dies für jedwede Schadenshaftung einschließlich potentieller Covid19-Infektionsrisiken gelte.
Ein Versuch der Einschüchterung oder zumindest um den Streikenden Steine in den Weg zu legen, so die Meinung mancher Fahrer. Und wie soll es auch anders zu werten sein?
Doch die Kollegen gaben nicht klein bei und verlegten ihren Streik einfach vor die Betriebseinfahrt. Auch wenn ihnen sogar die Nutzung der sanitären Anlagen auf dem Werksgelände versagt wurde,. Was den Unmut der Streikenden allerdings eher noch zu verstärken scheint.
Unter den Kollegen vor Ort befanden sich einige, die nach LBO-Tarif und andere, die nach TV-N bezahlt werden. Ersterer ist der Tarif, der für rund 100 der insgesamt ca. 120 Aschaffenburger Fahrer*innen gilt. Die restlichen ca. 20 „Alt-Fahrer“ werden nach dem wesentlich besseren Tarifvertrag des öffentlichen Dienstes (TV-N) bezahlt.
Im Streik befinden sich beide „Gruppierungen“. Und das solidarisch miteinander.
Während die einen für Verbesserungen der TV-N Bedingungen streiken, kämpfen „LBO-Fahrer“ ebenfalls nach Tarif des öffentlichen Dienst bezahlt zu werden. Die Forderung nach „gleicher Lohn für gleiche Arbeit“ zieht sich durch die Gespräche.
Um zu verdeutlichen, wie berechtigt die Forderung nach Bezahlung nach TV-N ist, hier ein paar Zahlen:
laut LBO-Tarif verdienen Omnibusfahrer*innen seit November 2019 gerade einmal 12,81€ Stundenlohn innerhalb der ersten 12 Monate. Im 2. und 3. Beschäftigungsjahr liegt der Verdienst bei 13,62€. Und ab dem vierten Beschäftigungsjahr gibt es eine letzte Steigerung auf 14,00€. Eine weitere Erhöhung sah der am 31.08.2020 ausgelaufene Tarifvertrag nicht vor.
Zu erwähnen ist, dass es Zuschläge gibt. So erhöht sich beispielsweise bei Überstunden der Lohn um 20% oder bei Nachtarbeit um 25%. Doch die Relevanz für letzteres darf für Aschaffenburg durchaus angezweifelt werden. Denn wie viele Busse sind spät nachts unterwegs? Richtig, keine! Die Busse der Stadtwerke fahren eigentlich nur von ca. 05:15 Uhr bis ca. 21:30 Uhr.
Der Tarif sieht auch weitere jährliche Sonderzuwendungen vor, die an die Dauer der Betriebszugehörigkeit gekoppelt sind. Wer sich hier für Details interessiert, findet hier den Tarifvertrag als pdf-Datei.
In der Presse war zu lesen, dass die Arbeitgeber behaupten, es sei durch Zuschläge und einer in Aschaffenburg gültigen übertariflichen Sonderprämie ein Stundenlohn von bis zu 20€ möglich.
Die Streikenden können hierüber nur lachen. Keiner der Anwesenden kommt in den Genuss dieses Stundenlohns.
Und wie ein Fahrer süffisant bemerkte, dürften bei dem von den Arbeitgebern errechneten Stundenlohn die Stadtwerke eigentlich auch kein Problem damit haben, gleich alle nach Tarif des öffentlichen Dienst zu bezahlen, wenn sie ja ohnehin bereits so gut bezahlt würden.
An der so oft erwähnten übertariflichen Sonderprämie, welche bis zu 4.000€ betragen kann, gab es einhellig Kritik. Manche berichteten davon, dass es schon vorkam, dass Kollegen eine Kreditgabe durch Banken verweigert wurden. Denn bei der Prüfung der Kreditwürdigkeit interessiert es Banken einen Dreck, welche übertariflichen Sonderzahlungen jemand erhält. Was zählt ist der Fixlohn. Denn es handelt sich bei dieser Sonderprämie um eine übertarifliche Sonderzahlung auf die es für Arbeitnehmer*innen keinen Anspruch gibt. Die Leistung ist freiwillig und kann vom Arbeitgeber einbehalten werden. Planungssicherheit sieht anders aus.
Gerade mit Hinblick auf die finanziellen Folgen der Corona-Krise befürchten auch einige der Fahrer, dass es in den nächsten Jahre sehr wahrscheinlich zu einer Verweigerung der Auszahlung der Sonderprämie kommen wird.
Dazu kommt, dass diese Prämien an Bedingungen geknüpft sind: unfallfreies Fahren, die Fahrt von Sonderschichten oder auch wenig krankheitsbedingte Fehltage sind u.a. die Grundlagen auf deren Basis über eine Auszahlung entschieden wird.
Gerade letzteres ist im öffentlichen Personennahverkehr ein Unding. Ein Kollege berichtete, dass es mit Hinblick darauf den kargen Lohn etwas aufzubessern gerade zu ein Anreiz sei, sich krank hinter das Steuer zu klemmen. Diese Bedingung zeuge auch von einem grundsätzlichen Misstrauen gegenüber der Belegschaft.
Allgemein wurde in Gesprächen deutlich, dass es bei diesem Streik um weitaus mehr als „nur“ um höhere Löhne geht. Es geht auch um Wertschätzung und Respekt für die geleistete Arbeit. Die als Propaganda wahrgenommenen Verlautbarungen der Arbeitgeber zeugten genau davon gerade nicht.
Nicht nur deswegen hinterlassen die Streikenden einen entschlossenen Eindruck und es ist ihnen viel Erfolg zu wünschen.
Wer sich mit den Streikenden solidarisch zeigen möchte, Gründe dafür wurden u.a. an dieser oder an dieser Stelle bereits genannt, dem oder der sei ein Besuch des Streikpostens ans Herz gelegt. Die Fahrer haben Interesse am Austausch und vielleicht entsteht dabei auch die eine oder andere Idee, wie durch Beschäftige und solidarische Stadtgesellschaft gemeinsam Druck auf die Arbeitgeber aufgebaut werden kann. Denn Konflikte in den Bereichen sozialer Infrastruktur sind immer auch gesamtgesellschaftliche Angelegenheiten.